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Vinyl
Die wiederentdeckte Liebe zum Analogen

02/2017

In Zeiten der allgegenwärtigen Digitalisierung des Lebens erfährt ein Medium ein Revival, dessen Grabstein eigentlich schon bestellt war: Die Schallplatte ist zurück.

Füllfederhalter, Zimmerpflanzen, Taschenkalender, Fotofilmkameras, Printmagazine und auch Vinyl: Sie alle haben schon bessere Tage gesehen. Früher wurden sie gelobt und geliebt, ein Leben ohne sie war praktisch nicht vorstellbar. Bis Computer, Smartphones und Clouds kamen und mit ihrer Ankunft viele analoge Dinge aus dem alltäglichen Leben verschwanden. Aber sind sie wirklich abgelöst worden?

Zardoz Hamburg Plattenladen Zardoz in Hamburg © Zardoz Wer eine Platte sucht, findet sie hier. Der Laden gehört wegen seiner immens großen Auswahl und der guten Sortierung seit über 30 Jahren zu Hamburgs führenden Fachgeschäften.Hamburg, Schulterblatt 36, www.zardoz-schallplatten.de

Ein Plattenladen im Hamburger Schanzenviertel. Die Kunden geben sich die Klinke in die Hand, einer diskutiert mit der Verkäuferin über die Entwicklung der Beastie Boys von den Anfängen der Gruppe in den 1980er-Jahren bis zu ihrem letzten Album. Hier kennt man sich aus. Den Laden „Zardoz“ gibt es seit über 30 Jahren. Er hat Zeiten überstanden, in denen keiner mehr daran glaubte, dass es sich rentieren könnte, Platten zu verkaufen.

Größerer Umsatz mit Vinyl als mit Musik-Downloads

Heute verlassen täglich mehr als 65.000 Platten das in der mecklenburgischen Kleinstadt Röbel ansässige Presswerk Optimal Media, dem letzten verbliebenen in Deutschland. 650 Angestellte arbeiten rund um die Uhr, um der Anfrage gerecht zu werden. Nicht mehr nur Liebhaberstücke und Neuauflagen werden hier gepresst, sondern auch neue Alben von jungen Bands und Musikern wie The xx oder Ed Sheeran. In Großbritannien erhöhten sich die Verkaufszahlen im Jahr 2016 auf einen Wert von mehr als 3 Millionen Platten – der Umsatz übertrifft damit die Gewinne mit Musik-Downloads. Vinyl ist wieder im Alltag angekommen. Aber warum eigentlich?

Über den perfekten Klang gibt es verschiedene Meinungen. Die einen sagen, besser, störungsfreier und authentischer als digital geht nicht. Die anderen schwören auf Musik aus der Rille, gönnen den Liedern leises Knacken und erleben Songs nur dann in ihrer akustischen Tiefe, wenn sie auf Vinyl gepresst wurden.

25hours Hamburg Hafencity Vinyl Room im 25hours Hafencity Hamburg © 25hours Mit seinem Vinyl Room lockt das extravagante Hotel nicht nur Musiker auf der Durchreise und Hipster im Urlaub an: Auch Nachbarn aus dem Hafencity-Kiez und Geschäftsleute mit einer Vorliebe für außergewöhnliche Meetings sind willkommen in der 30-Quadratmeter-Lounge. 1.000 Alben warten darauf, auf den zwei Plattenspielern aufgelegt zu werden. Hamburg, Überseeallee 5, www.25hours-hotels.com

Gemeinsames Erleben von Musik steht im Fokus der Vinyl-Fans

Fakt ist: Immer mehr Menschen wünschen sich einen natürlichen Lebensstil zurück, der ihnen nicht ausschließlich reibungsloseste und unkomplizierteste Abläufe bietet. Sie wollen sich nicht gegenseitig Playlists empfehlen, sondern treffen sich lieber zum Beispiel im „Vinyl Room“ des Hamburger Hotels 25hours in der Hafencity auf ein Glas Bier, um dort die 1.000 Platten zählende Sammlung zu durchstöbern. Reinhören, ankommen, empfangen werden vom warmen Klang und von der Geselligkeit, die das Plattenauflegen an öffentlichen Orten mit sich bringt. In Berlin oder Essen, in Köln oder München: Vinyl-Bars geben dieser Leidenschaft einen Raum und werden zum Treffpunkt, wo fremde Sammlungen kennengelernt und eigene Platten mitgebracht werden können.

Denn eines verbindet die Vinyl-Liebhaber miteinander: das Sammeln. Mit dem neuen alten Platten-Trend steht deshalb auch wieder das Artwork, das die Alben begleitet, im Fokus. Besondere Schönheiten verwahren die Schallplatten-Anhänger in Vitrinen – aber: „Abgespielt wird dieses Album niemals“, sagt Vinyl-Fan Stephan Wölk, der im Hamburger Plattenladen endlich gefunden hat, was er lange suchte, „ich will es nur besitzen.“

Ich will es nur besitzen

Ein wenig sarkastisch wirkt in dem Zusammenhang der PR-Gag, den sich die Band Shout Out Louds zur Veröffentlichung ihrer Single „Blue Ice“ überlegte: Das auf zehn Exemplare limitierte Fan-Paket beinhaltete eine Flasche destilliertes Wasser und eine Eiswürfelform aus Silikon, die das Negativ der Pressung abbildete. Aus dem Gefrierschrank kommend, überzeugte die Eisplatte. Doch nur wenige Minuten später verschwanden die gelobten Rillen auch wieder. Ob sich daraus eine Prognose für die Kurzlebigkeit des Vinyl-Revivals ableiten lässt? Angesichts der Vielzahl an neuen Plattenläden und Vinyl-Bars ist das jedoch unwahrscheinlich.

Und das sind die besten Adressen für Vinyl in Deutschland: