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Mitreden
Einfach entspannt laufen

03/2019

Mühelos längere Strecken schaffen, ohne außer Atem zu geraten? Und trotzdem fitter werden? Ja, das geht – mit Slow Jogging, dem neuen Lauftrend aus Japan.

Vom Joggen haben die meisten Menschen eine klare Vorstellung. Es gilt, eine bestimmte Strecke in einem bestimmten Tempo zu laufen, wobei in vielen Köpfen die Gleichung „schneller gleich besser“ fest verankert zu sein scheint. Ebenso wie die Überzeugung, dass das Ganze anstrengend sein muss. Um fit zu werden, so der Glaube, muss man schwitzen, sich quälen.

Mit all dem hat das Slow Jogging nichts zu tun. Im Gegenteil: Hier geht es darum, langsam zu laufen, so langsam, dass man sich dabei bequem unterhalten kann. Das Konzept liest sich wie ein Gegenentwurf zur Höher-Schneller-Weiter-Maxime, der sich im Westen so viele verschrieben haben: Es gibt keinen Druck, keinen Stress, kaum Schweiß. Wohlfühl-Joggen also. Wie effektiv kann das sein?

Entschleunigung statt Quälerei

Wie andere Bewegungslehren, die auf Entschleunigung setzen, Yoga etwa, Qigong oder Tai-Chi, hat auch Slow Jogging seinen Ursprung in Asien. Der japanische Sportphysiologe Prof. Hiroaki Tanaka von der Universität Fukuoka hat diesen Laufstil entwickelt. Es ist eine dieser Geschichten, die nur das Leben schreiben kann: Tanaka träumte in jungen Jahren davon, ein berühmter Marathonläufer zu werden, was nicht ungewöhnlich ist; viele Japaner sind laufverrückt. Doch daraus wurde nichts. Als er 17 war, stellte ein Arzt bei ihm einen Herzfehler fest – eine Fehldiagnose, wie später bekannt wurde, aber für Tanaka war es damals vorbei mit dem Laufen. Zu gefährlich, hieß es. Also beschloss er, seiner Leidenschaft als Forscher nachzugehen. Am Ende wurde er dann aber doch noch berühmt mit dem Laufen, denn in Japan hat er mit dem Slow Jogging einen regelrechten Boom ausgelöst. Nun entdecken auch andere Länder seine Technik.

Was hat es damit auf sich? „Der Begriff Slow ist etwas irreführend“, sagt Lutz Hertel vom Deutschen Wellness Verband in Düsseldorf, der 2015 auf Tanaka aufmerksam wurde und die Methode in Deutschland einführte. „Zwar kommt man anfangs tatsächlich nur langsam vorwärts und ist nicht viel schneller als ein Spaziergänger. Dennoch bewegt man sich – nur anders als gewohnt.“

Anders als beim normalen Laufen sind die Schritte beim Slow Jogging nicht groß, sondern klein, kurz und flach; das Ganze erinnert eher an ein Tippeln. Pro Minute sollte der Läufer 180 Schritte schaffen – oder 45 in 15 Sekunden, was recht viel und gewöhnungsbedürftig ist. Erinnern Sie sich an den Song „I’m still standing“ von Elton John? Wenn Sie pro Takt einen Schritt setzen, ist das Ihr Tempo. Der Oberkörper ist dabei aufrecht, die Arme schwingen locker mit. Und die Atmung bleibt entspannt und ruhig. „Wer in die Hechelatmung verfällt, ist zu schnell“, sagt Hertel. Für manch einen bedeutet das, sehr langsam anzufangen. Aber der Körper passt sich an, das Tempo erhöht sich im Laufe der Zeit von allein, ohne Qual.

Entscheidend für richtiges Slow Jogging ist, immer mit dem Ballen aufzusetzen, dort, wo der Fuß am breitesten ist, und nicht mit der Ferse, wie viele Jogger es tun. Mittelfußlauf nennen Experten diese Technik. Sie gilt als die natürlichste und gesündeste, weil sie die Gelenke schont. Wer einmal seine Schuhe auszieht und barfuß losläuft, macht es instinktiv richtig. Der Fersenlauf hingegen begünstigt Verletzungen, weil er große Erschütterungen im Körper erzeugt. Apropos Schuhe: Teure High-Tech-Modelle sind fürs Slow Jogging nicht nötig, aber die Treter sollten eine biegsame Sohle haben und möglichst flach sein. „Das Gefälle zwischen Ferse und Spitze, Sprengung genannt, sollte nicht mehr als acht Millimeter betragen“, erklärt Hertel. Die meisten Laufschuhe seien hinten zu dick gepolstert, um den Aufprallschock abzufedern. Das erschwere den Mittelfußlauf.

Trotz der geringen Anstrengung sind die Effekte beachtlich. „Bei gleicher Strecke verbrauchen Sie bei diesem Laufstil doppelt so viele Kalorien wie beim Gehen und ebenso viele Kalorien wie beim schnellen Laufen“, sagt Hertel. Wie bei anderen Ausdauersportarten wird das Herz-Kreislauf-System trainiert, die Lungenfunktion verbessert sich, ebenso die Blutdruck- und Cholesterinwerte sowie der Zuckerstoffwechsel. Besonders interessant für ältere Menschen: Slow Jogging trainiert die Gesäß- und Oberschenkelmuskulatur und beugt so Stürzen vor, da sie dem altersbedingten Muskelschwund (Sarkopenie) entgegenwirkt. Zudem steigert es die geistige Leistungsfähigkeit, zeigen Studien.

Sportwissenschaftler wie Prof. Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln begrüßen diesen Trend. Seiner Meinung nach kann es beim Laufen gar nicht langsam genug zugehen, schon wegen der Fettverbrennung. Diese sei besonders effektiv, wenn der Körper ausreichend Sauerstoff zur Verfügung hat. „Slow Jogging setzt hier das richtige Signal, auch angesichts des Hypes um das High Intensity Training, die derzeit unser Bild von Fitness prägt“, sagt er.

Wer am liebsten gleich loslegen will, sei aber gewarnt: Der Laufstil beansprucht die Waden und die Achillessehne sehr, der Körper muss sich erst an die Belastung gewöhnen. Hertel rät, anfangs im Wechsel eine Minute langsam zu joggen und dann eine halbe Minute bis Minute zu gehen. Mit der Zeit könne man die Jogging-Einheiten ausdehnen. „Die Anpassung kann einige Wochen dauern“, sagt er. Vor allem routinierte Fersenläufer sollten es nicht übertreiben. „Am besten wäre es, eine Einführung von einem Fachmann zu bekommen. Im Moment haben wir zwar noch nicht viele zertifizierte Trainer, aber es werden mehr.“ Mögliche Ansprechpartner sowie weitere Informationen finden Interessierte im Netz unter www.slowjogging.de.