Eine Frau und ein Mann sitzen im Büro an ihren Laptops
© Getty Images/Luis Alvarez

Meetings
„Ich empfehle manchmal, alle Treffen zu canceln“

03/2023

Beim Wort „Meeting“ geht oft ein Stöhnen durch die Belegschaft. Doch was tun gegen die Flut an Online-Konferenzen? Und was ist zu beachten, damit die Treffen gelingen? Antworten darauf kennt Inga Höltmann, 41. Die Autorin und Managerin der New Work-Beratung Accelerate Academy unterstützt Firmen beim Kulturwandel.

Berät Unternehmen bei Veränderungsprozessen: New Work-Expertin Inga Höltmann
Berät Unternehmen bei Veränderungsprozessen: New Work-Expertin Inga Höltmann
© Axel Kuhlmann

WAGEN EINS: Frau Höltmann, im Schnitt verbringen Büroangestellte mehr als ein Drittel ihrer Arbeitszeit in Besprechungen. Seit der Pandemie hat sich dieser Anteil weiter erhöht, manche Studien sprechen von 60 Prozent. Ist der Peak der Entwicklung erreicht?

Höltmann: Ob der Peak erreicht ist, vermag ich nicht zu sagen. Was auffällt ist, dass die ersten Organisationen inzwischen meetingfreie Tage ausrufen. Zu selten werden Treffen hinterfragt. Zwar geben viele Firmen an, unter der Konferenzflut zu leiden, aber sie nehmen sie allzu oft einfach als gegeben hin, nach dem Motto: Das gehört nun mal dazu. In diesem Punkt sind viele sehr leidensfähig.

WAGEN EINS: Das trifft wohl auch auf die Mitarbeitenden zu. Nach einer Umfrage des Terminabsprache-Portals Doodle halten 38 Prozent der Deutschen Meetings für Zeitverschwendung. Wie erklären Sie sich die große Unzufriedenheit?

Höltmann: Wesentliche Ursache dafür ist die Art, wie diese Zusammenkünfte organisiert sind. Meist wird sehr breit eingeladen, und das Gros der Teilnehmer:innen hört nur zu, ohne selbst etwas beizutragen. Das Ergebnis: Die Leute sind unzufrieden und haben zurecht das Gefühl, die Zeit zu verschwenden, statt ihren Aufgaben nachzugehen.

WAGEN EINS: Aber ist es heute nicht ein Gebot der Unternehmenskultur, im Sinne der Partizipation möglichst viele Kolleg:innen an Prozessen teilhaben zu lassen?

Höltmann: Ich bin eine große Anhängerin von transparenten Prozessen – der Irrtum ist jedoch zu glauben, man könne diese Transparenz vor allem durch Meetings schaffen. Oft werden Menschen dazu eingeladen, nur um sie auf den Stand zu bringen. Die Frage ist doch, ob man ihnen die Informationen nicht auch zugänglich machen kann, ohne dass sie Stunden in Statusrunden absitzen.

WAGEN EINS: Was ist denn Ihrer Ansicht nach ein sinnvolles Meeting?

Höltmann: Am Anfang sollten zwei Fragen stehen: Erstens – was soll das Ziel sein? Viele Meetings sind überfrachtet mit verschiedenen Erwartungen. Das Bedürfnis nach persönlichem Kontakt wird vermischt mit dem Ziel, sich auf einen Wissensstand zu bringen oder dem Anspruch, Ideen zu entwickeln. Für die Teambildung zum Beispiel kann es sinnvoller sein, sich regelmäßig außerhalb der Meetings zum Frühstück oder auf einen Kaffee zu treffen. Wenn es um Ideen für ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung geht, schickt man vielleicht erst einmal eine Mail und bittet die Kolleg:innen, ihren Input zu geben. Danach kann man immer noch entscheiden, ob ein Meeting nötig ist, um die Vorschläge zu verfeinern – und wer am besten dabei sein sollte.

WAGEN EINS: Und die zweite wichtige Frage?

Höltmann: Ist die nach den Personen, die eingeladen werden. Es sollte vorher abgefragt werden: „Hast du Input dazu“? Die Teilnahme macht immer dann Sinn, wenn jeder Einzelne einen aktiven Part einnehmen und etwas zu dem konkreten Thema beitragen kann. Für ein Status-Update gibt es schnellere Wege.

WAGEN EINS: Welche zum Beispiel?

Höltmann: Ich empfehle, dass alle Schritte eines Projekts oder zu einer Idee schriftlich dokumentiert und danach in der Cloud abgelegt werden. Es liegt dann an den Mitarbeitenden, sich aktiv auf den neuesten Stand zu bringen. Das spart Meeting-Zeit. Ich sage immer: „Die Zukunft der Arbeit ist geschrieben.“

WAGEN EINS: Das müssen Sie erklären…

Höltmann: Der Gegensatz zu synchronen Meetings, in denen viele Menschen gleichzeitig ihre Zeit absitzen, sind asynchrone Abstimmungen, was heißt: Irgendwo sind alle wichtigen Punkte aufgezeichnet und gespeichert und jede Person kann sich selbstständig daraus ziehen, was sie braucht, wenn sie es braucht. Je mehr niedergelegt ist, desto weniger synchrone Abstimmung brauchen wir. Ein interessantes Beispiel für die Bedeutung von Verschriftlichung liefert auch Amazon mit dem Format „Narrative Memo“. Hat jemand eine Idee zu einem Produkt, schreibt die Person ein Memo, in dem alles zum Vorschlag notiert wird. Das Meeting beginnt dann mit Schweigen, weil die Teilnehmer:innen erst einmal Zeit bekommen, das Memo zu lesen. Erst danach fängt die Besprechung an. Das ist sehr effektiv, weil man gut informiert mit dem Austausch startet.

Eine Frau sitzt vor ihrem Laptop in einem Meeting
Worum geht’s eigentlich? Meetings brauchen einen klaren Zweck und eine bewusste Auswahl der Teilnehmer:innen
© Getty Images/Morsa Images

WAGEN EINS: Was ist eine gute Gruppengröße?

Höltmann: Kommt sehr auf den Zweck an. Wenn es um eine Ideenfindung geht, sollten schon mindestens vier Personen dabei sein. Aber auch nicht zu viele, denn alle sollten sich ausreichend einbringen können. Bei einer halben Stunde mit 20 Leuten wird das schwer.

WAGEN EINS: Wie lang sollten Meetings sein?

Höltmann: Viele Treffen werden für eine Stunde angesetzt. Das ist eine Gewohnheit. Wenn sich die Personen kennen und wissen, worum es geht, können nach meiner Erfahrung auch 30 Minuten reichen.

WAGEN EINS: Sollte es einen Moderator geben?

Höltmann: Das ist aus meiner Sicht die Geheimwaffe für ein gutes Meeting. Und die Moderation sollte nicht von der ranghöchsten oder der Person übernommen werden, die eingeladen hat. Sie sollte möglichst neutral sein und darauf achten, dass alle Beteiligten zu Wort kommen, niemand abschweift und jede:r das Ziel der Besprechung im Blick behält.

WAGEN EINS: Was halten sie von hybriden Meetings?

Höltmann: Es hängt sehr viel an der Technik. Wenn die zugeschalteten Mitarbeiter:innen kaum etwas verstehen, weil nur ein Mikro in einem halligen Raum auf dem Tisch steht, ist das kontraproduktiv. Viele Firmen verfahren so: Wenn sich jemand von außen einklinkt, schalten alle auf Remote-Modus und sitzen vor ihrem Rechner.

WAGEN EINS: Wann ist ein Meeting gelungen?

Höltmann: Zum Beispiel dann, wenn man innerhalb der angesetzten Zeit die angesetzten Themen bearbeitet hat. Wenn Punkte offen bleiben oder die Zeit nie reicht, sollte man nach den Ursachen forschen. War die Moderation nicht stringent genug oder die Vorbereitung mangelhaft? Liegt es daran, dass sich einige zu gern reden hören? Oder war das Meeting überfrachtet? Nach meiner Beobachtung wird darüber oft zu wenig reflektiert, es ist aber wichtig, Vereinbarungen zur Meeting-Kultur zu treffen.

WAGEN EINS: Unternehmen wie SAP oder Google sind dazu übergegangen, ganze Tage meetingfrei zu halten – die richtige Diät?

Höltmann: Ich empfehle manchmal auch, mal alle Treffen zu canceln. Dann merkt man, welche gefehlt haben und welche nicht.

WAGEN EINS: Im Gegensatz zu den vielen Meeting-Stunden spricht man neuerdings von Fokus-Phasen während der Arbeit – was ist das und was halten Sie davon?

Höltmann: Das ist „Deep Work“ oder auch konzentrierte Arbeit, bei der man in Flow kommen soll. Das ist die wichtigste, weil produktivste Zeit im Job. Es sollte aber das Ziel sein, dass Mitarbeiter:innen ihre Arbeitszeit hauptsächlich dafür aufwenden. Statt solche Fokus-Phasen als Ausnahmen zu definieren, sollten sich Organisationen öfter fragen: Welche Meetings brauchen wir wirklich? Damit die Möglichkeit zur konzentrierten Arbeit der Standard im Job wird – und nicht in Meetings zu sitzen.