© CACTUS Creative Studio/Stocksy (M)

Upcycling
Nachhaltige Möbel für den Alltag

08/2018

Kreative Designer verarbeiten Industrieabfälle und Rohstoffreste zu hochwertigen Gebrauchsprodukten – handgefertigt, schick und individuell. Müllverwertung wird durch Upcycling zum neuen Stil-Prinzip.

Sitzt, wackelt und hat Luft. Mit kräftigem Druck presst Oliver Schübbe die eingeleimten Regalbretter zusammen, fixiert sie mit Schraubzwingen und begutachtet zufrieden sein Werk. „Weil ich mit alten Materialien arbeite, sehen meine Möbel immer ein bisschen anders aus. Manchmal sind Gebrauchsspuren sichtbar oder unterschiedliche Furniere“, erzählt der Möbeldesigner, der zu den Pionieren der Branche gehört.

Seit über zehn Jahren entwirft er unter dem Label „OS2 Designgroup“ Regale, Sessel, Tische und Leuchten oder auch mal eine komplette Kompaktküche aus weggeworfenem Mobiliar. Nicht aus Sparsamkeit, sondern aus Achtsamkeit. Weil er Gegenständen oder einzelnen Materialien, die ihren eigentlichen Zweck nicht mehr erfüllen, eine neue Bestimmung gibt und sie dadurch aufwertet. So entstehen stilvolle Design-Gegenstände und Möbel, meist in Kleinstserien und jedes ein Unikat.

Fokus beim Upcycling liegt auf hochwertigen Endprodukten

Aus Alt mach Neu: Im Unterschied zum klassischen Recycling, das gebrauchte Produkte zwar auch wieder in Umlauf bringt, aber dabei bestenfalls gleichwertige und in der Regel minderwertigere Produkte entstehen, liegt der Fokus beim Upcycling auf der Herstellung eines hochwertigeren Endprodukts. Das spart Rohstoffe und Energie, verlängert die Lebensläufe von Materialien und durchbricht vor allem den unguten Zyklus von Kaufen, Benutzen, Wegschmeißen. Schrott gibt es schließlich im Überfluss, da muss nicht alles neu produziert werden.

Mit dieser Philosophie entstehen überall in Deutschland Alltagsprodukte aus Materialien, die zuvor achtlos in der Presse landeten: Möbel aus ausrangiertem Bauholz, Kleidung, Tücher oder Teppiche aus geschredderten und zu neuen Fasern versponnenen PET-Flaschen oder bunte Taschen und Accessoires aus ausgedienten Lkw-Reifen und -Planen. Außergewöhnliche Mode aus Arbeitskleidung wie Malerkittel und Blaumann fertigt das Berliner Label „Reclothings“. Der Designer und Herrenschneider Daniel Kroh berücksichtigt für seine Entwürfe stets das aufbereitete Material und sucht nach spannenden Gebrauchsspuren – Brandlöcher, Farbflecke oder Flicken. So wird jedes seiner Stücke zum Unikat.

Altes bewahren und Produkten aus Massenherstellung wieder eine Geschichte zurückgeben: Auf „Kleinmöbel und Wohnzubehör als Schnittstelle zwischen Kunst und Design“ hat sich auch das Leipziger Label „Ko-j“ spezialisiert. Neben Möbeln aus Ölfass-Blech ist dort auch eine Hängeleuchte aus unzähligen Strohhalmen zu bestaunen.

© Lockengelöt

Wenn alte Schallplatten zu stylischen Leuchten werden

Sorge, dass das Material knapp werden könnte, braucht die Upcycling-Szene nicht zu haben. Allein sieben Millionen Tonnen Möbelmüll fallen alljährlich in Deutschland an. Plus 1,5 Millionen Tonnen Textilien, darunter 75 Prozent fertige Kleidungsstücke. Das restliche Viertel sind unverarbeitete Rohstoffe oder Industrieüberschüsse. „Dass es so nicht weitergehen kann, wird immer mehr zum Thema. Und wenn wir etwas Gutes dazu beitragen können, ist das eine prima Sache«, sagt Carsten Trill vom Hamburger Label „Lockengelöt“. Das Geschäft im Karoviertel verwandelt Ölfässer in trendige Schränke und Sideboards, die über den Online-Shop längst auch in Nachbarländern Absatz finden.

© Lockengelöt „Nach Frankreich oder in die Schweiz verschicken wir jede Woche“, erzählt der Firmengründer. Das Rohmaterial bezieht er von einem Fasshersteller im Hamburger Hafen – aussortierte, aber nagelneue Überschüsse, die andernfalls eingestampft worden wären. In der Werkstatt werden die Fässer veredelt – sie erhalten Öffnungen, Fachböden oder Türen, wobei jeder Blechrand sorgsam wieder verkleidet wird.

Auch bleiben kaum Materialreste oder Verschnitt über – auch dies ist eine Wertschätzung fürs Material. Daneben haben sich die Hamburger auf das Zweckentfremden alter Schallplatten spezialisiert und formen daraus stylische Leuchten, individuelle Leuchtkästen oder auch Schalen und andere Alltagsprodukte. Noch relativ neu im Angebot sind Schlüsselringe oder Untersetzer aus alten Skateboards. „Man muss nur etwas finden, das der neuen Funktion gerecht wird.“