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Richtig abschalten
Urlaubszeit

07/2019

Sie sind zwar im Urlaub, dort aber stets erreichbar? Lieber nicht. Warum es wichtig ist, auch mal Abstand zum Job zu gewinnen, und wie Erholung wirklich gelingen kann.

Das Schöne am Urlaub ist ja, die Arbeit für eine Weile hinter sich lassen und Neues erleben zu können. Einen Gang herunterzuschalten, durchzuatmen und aufzutanken, um frisch gestärkt wieder ans Werk zu gehen. Was in der Theorie so plausibel und erstrebenswert klingt, scheitert oft in der Praxis. Denn viele Berufstätige schaffen es nicht, im Urlaub richtig abzuschalten – sei es den Kopf, das Handy oder beides. In einer Umfrage des Digitalverbandes Bitkom von 2018 gaben rund zwei Drittel der Berufstätigen an, im Sommerurlaub dienstlich erreichbar zu sein. Gründe dafür gibt es viele. Einige erhoffen sich Vorteile für die Karriere, wenn sie ständig verfügbar sind. Andere wollen vermeiden, nach dem Urlaub von einer Flut an E-Mails überrollt zu werden. Oder sie tragen (zu) große Verantwortung. „Ein kurzer Anruf hier, eine Nachricht da, was soll daran schlimm sein? Was ich heute erledige, liegt mir morgen nicht zusätzlich auf den Schultern“, sagen sie.

Arbeit und Freizeit vermischen sich

Verständlich, einerseits, denn die Arbeit verdichtet sich zunehmend. In vielen Berufen verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit mehr und mehr – der moderne Mensch ist ja angeblich flexibel und selbstbestimmt. Andererseits lauert hier jedoch die Gefahr, dass die Gedanken irgendwann fast ausschließlich um die Arbeit kreisen und Erholung nicht einmal dann möglich ist, wenn der Chef oder die Kollegen einen im Urlaub in Ruhe lassen.

Unvollendetes löst Stress aus

„Das hat viel mit der eigenen Zielsetzung zu tun“, sagt Oliver Weigelt, Arbeitspsychologe an der Universität Rostock. „Aus der Forschung wissen wir, wie wichtig es für das eigene Befinden ist, gesetzte Ziele auch zu erreichen. Werden wir daran gehindert, belastet uns das.“ Flexibilisierung in der Arbeitswelt bedeute eben oft, nicht nur die eigenen Ziele im Blick zu haben, sondern sich auch die des Unternehmens zu eigen zu machen. Für den jeweiligen Chef ist diese Haltung von Vorteil: Er weiß, dass der Job erledigt wird. Für den Arbeitnehmer aber kann diese Einstellung schädlich sein. Denn unser Gehirn ist so beschaffen, dass uns die unvollendeten Dinge eher im Gedächtnis bleiben als die beendeten. Irgendwas ist schließlich immer. So kann schnell das Gefühl aufkommen, nie wirklich fertig zu werden. Und das sorgt für negativen Stress.

Um zu verstehen, warum Erholung so wichtig für die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit ist, lohnt ein Blick auf die körperlichen Vorgänge bei Stress. Geraten wir in eine gefährliche oder belastende Situation, wird eine komplexe Reaktionskette in Gang gesetzt: Das Nervensystem ist alarmiert, Stresshormone werden ausgeschüttet. Der gesamte Organismus wird mobilisiert und ist ausgerichtet auf nur zwei Reaktionsmöglichkeiten: Kampf oder Flucht. Das Herz schlägt schneller, Blutdruck und Pulsschlag steigen an, die Atmung beschleunigt sich, die Leber setzt Kohlenhydrate frei, um den Blutzuckerspiegel stabil zu halten und das Gehirn sowie die Nervenzellen und roten Blutkörperchen mit dem Haupttreibstoff Glukose zu versorgen. Was nicht unmittelbar lebenswichtig ist, etwa Verdauung oder Fortpflanzung, wird unterdrückt.

Permanent im Überlebensmodus

In Gefahrensituationen sind solche Reaktionen überlebenswichtig, klingen jedoch wieder ab, sobald die Bedrohung überstanden ist. Dafür braucht der Organismus aber die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen: Nur dann kann er regenerieren. Gibt es diese Chance nicht, was in der heutigen Zeit oft geschieht, bleibt der Körper permanent in diesem Überlebensmodus hängen – und das schadet ihm auf Dauer enorm. Anzeichen für Überlastung können unspezifische Befindlichkeiten wie Müdigkeit, Erschöpfung, Konzentrationsschwierigkeiten, Antriebslosigkeit, schlechte Laune oder Gereiztheit sein, doch auch konkrete Leiden wie Angstzustände, Herzrasen, Schlafstörungen, Magenprobleme, Herz-Kreislauf-Leiden, Kopf- und Rückenschmerzen und vieles mehr, womöglich gar Depressionen oder Burn-out.

 

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Umso wichtiger ist es daher, im Urlaub eine echte Pause einzulegen und Abstand zum Job zu gewinnen. Selbst wenn die Technologie es ermöglicht, ist doch „jede Unterbrechung, sei sie noch so kurz, ein Trigger, der einen aus dem Urlaubsmodus herausholt und den positiven Effekt schmälern kann“, sagt Weigelt. „Daher liegt die Herausforderung heute vor allem darin, selbst klare Grenzen zu ziehen.“ Er empfiehlt, sich vor dem Urlaub aufzuschreiben, was noch unerledigt geblieben ist und wie sich das nach der Rückkehr an den Arbeitsplatz schnell zu Ende bringen lässt. „Dann hat man schon eine Lösung angestoßen – das wirkt fast so gut, wie die Aufgabe tatsächlich abzuschließen.“ Wichtig sei außerdem, deutlich zu signalisieren, dass man nicht erreichbar ist. Im besten Fall bleibt das Diensthandy ganz zu Hause. Weigelt empfiehlt darüber hinaus, einen zeitlichen Puffer zwischen Arbeit und Urlaub einzubauen, um sich gedanklich besser lösen zu können.

Abwechslung für das Gehirn

Im Urlaub selbst kommt es darauf an, einen guten Ausgleich zu den Alltagsanforderungen zu finden und das Gehirn anders als gewohnt zu fordern. Wer etwa im Job viel sitzt und Denkarbeit leistet, ist gut beraten, körperlich aktiv zu werden – ob mit Yoga oder Mountainbiking, bleibt jedem selbst überlassen. Das fühlt sich nicht nur gut an und sorgt für neue Impulse, sondern wirkt auch dem endlosen Grübeln über Probleme am Arbeitsplatz entgegen, das ebenso schädlich sein kann wie der tatsächliche Stress. Auch Zeit in der Natur hat in der Regel eine beruhigende, erholsame Wirkung, ebenso das Spielen mit den Kindern. „Es ist eigentlich trivial, aber in der Zeit, die man mit Kindern verbringt, ist es schwer, sich mit der Arbeit zu befassen“, erklärt Weigelt. Manchmal muss man Körper und Geist eben ein bisschen austricksen, um zu seinem Erholungsrecht zu kommen.