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Nachgefragt
„Sehnsucht nach persönlichem Austausch ist groß“

03/2021

Rückzugsort zum Arbeiten und Auftanken: Warum die Unternehmerin und Autorin Tijen Onaran am liebsten mit der Bahn reist

Tijen Onaran, Gründerin des Unternehmens Global Digital Women, ist eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Digitalszene. Ihr Ziel: Frauen zusammenzubringen und sie in der männerdominierten Branche sichtbar zu machen. Sie ist Autorin (aktuelles Buch: „Nur wer sichtbar ist, findet auch statt“, Goldmann), eine gefragte Speakerin und interviewt für den Business-Punk-Podcast „How to Hack“ regelmäßig Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Gesellschaft. Das Magazin Capital wählte Tijen Onaran zu den „Top 40 unter 40“ Talenten der Wirtschaft. Sie ist eine leidenschaftliche Bahnfahrerin und ihre liebsten Reisebegleiter – neben Laptop und Kopfhörer – sind ihr Cockerspaniel Paul und Labradormix Leo.

Was machen Sie als erstes, nachdem Sie in der Bahn Platz genommen haben?

Ich klappe meinen Laptop auf. In der Regel habe ich mir schon notiert, was ich erledigen will. Dann setze ich Kopfhörer auf und lege los. Die Bahn für mich der beste Arbeitsort der Welt. Hier habe ich die Möglichkeit, konsequent und ungestört an einem Thema zu sitzen. Im Alltag bin ich in verschiedene Projekte eingebunden, muss ständig hin- und herspringen, da fehlen mir einfach der Raum und die Muße. Wenn ich meine Aufgaben abgearbeitet und noch ein bisschen Zeit habe, schaue ich aus dem Fenster. Das entspannt mich.

Kommen Sie dabei auf gute Ideen?

Tatsächlich habe ich immer dann die besten Einfälle, wenn ich so richtig entspannt bin. Das kann beim Jogging sein, beim Gassi-Gang mit meinen Hunden oder eben beim Bahnfahren. Beim Rausschauen auf die vorbeiziehende Landschaft kommen mir viele gute Ideen. Das setzt bei mir richtig Kreativität frei.

Welche Strecke fahren Sie am liebsten?

Die Schnellstrecke Berlin-München finde ich total gut. Weil sie die perfekte Länge hat, so viereinhalb Stunden, da kann man gut etwas wegarbeiten.

Was sind weitere Gründe für Sie, die Bahn zu nutzen?

Das Thema Nachhaltigkeit ist mir wichtig. Wenn ich mit der Bahn reise, leiste ich einen Beitrag zum Klimaschutz, der für mich machbar und schnell umsetzbar ist. Der zweite Grund ist, dass ich zu den Menschen gehöre, die wirklich sehr gerne Bahn fahren. Weil ich dort arbeiten, schlafen, Podcast hören oder mich intensiv mit einem Thema beschäftigen kann.

Wenn Sie die Digitalisierung bei der Bahn vorantreiben könnten – was würden Sie ändern?

Was die Bahn in den letzten Jahren wirklich verbessert hat, ist der WLAN-Empfang. Da gibt es nichts zu meckern. Generell schwierig bleibt der Mobilfunk. Wobei ich sagen muss, dass ich in der Bahn nicht gerne telefoniere. Ich finde, sie ist der falsche Ort dafür.

Was könnte man sonst noch verbessern?

Für meine zwei Hunde muss ich immer Kindertickets lösen. Dabei wäre es so toll, wenn die umsonst mitfahren könnten. Dieses Anliegen können aber wahrscheinlich nur Hundebesitzer nachvollziehen. (lacht)

Was gibt Ihnen persönlich ein gutes Gefühl, trotz Corona weiter die Bahn zu nutzen?

Die Menschen um mich herum, so meine Beobachtung, tragen alle eine Maske. Und meine Platzbelegung war bislang so gewählt, dass die Abstandsregeln eingehalten werden konnten. Ich fühle mich in der Bahn sicher. Auch an das Tragen der Maske habe ich mich gewöhnt. Mittlerweile besitze ich eine richtige Kollektion, mit Sprüchen drauf oder mit Mustern. Manchmal vergesse ich glatt, die Maske wieder abzunehmen.

Während des Lockdowns haben viele Deutsche im Homeoffice gearbeitet. Und natürlich könnte man sich mit seinen Geschäftspartnern auch weiterhin virtuell besprechen. Was glauben Sie als Unternehmerin: Sind persönliche Treffen auch in Zukunft wichtig?

In den letzten Monaten hat sich gezeigt, wie elementar die digitalen Kanäle sind, egal, ob Social Media-Plattformen oder Videokonferenz-Tools. Aber ich merke, dass die Sehnsucht nach dem analogen Austausch enorm hoch ist. Ich war kürzlich das erste Mal wieder in Berlin auf einem Termin, da wurden schon Witze gerissen wie: „Ich wusste gar nicht, dass du einen Unterkörper hast.“ Das hat mir nochmal gezeigt, wie besonders solche Treffen sind. Ich glaube, dass wir alle aus dieser Krise herauskommen werden mit dem Bewusstsein, dass dieser persönliche Austausch durch nichts zu ersetzen ist. Die digitalen Kanäle sind natürlich eine gute Alternative. Und was ich gut finde ist, dass die Einstellung der Deutschen gegenüber der Digitalisierung positiver geworden ist.

Was glauben Sie: Wie geht’s weiter im „new normal“, besonders im geschäftlichen Umfeld und Miteinander?

Ich glaube, so eine Art „New normal“ wird es nicht geben. Denn alles, was wir jetzt gestalten, ist bereits die Normalität. Die Art und Weise, wie wir in Zukunft beispielsweise Veranstaltungen organisieren werden, wird sehr davon beeinflusst sein, wie wir es jetzt machen. Das gilt genauso für die Arbeitswelt, Reisen und jede Art von Begegnung. Was uns die Krise gezeigt hat, ist, wie gut einige Unternehmen im Bereich der Digitalisierung aufgestellt sind – und wie schlecht manche andere. Hoffnungsvoll bin ich, was das persönliche Miteinander angeht: In meinem Umfeld durfte ich erleben, dass Netzwerken, die Nachbarschaftshilfe und die gegenseitige Unterstützung extrem zugenommen haben. Ich wünsche mir sehr, dass dieser Spirit erhalten bleibt.

 

Beim Rausschauen auf die vorbeiziehende Landschaft kommen mir viele gute Ideen. Das setzt bei mir richtig Kreativität frei.
Tijen Onaran, Autorin, Unternehmerin und Gründerin von Global Digital Women

Sie sind selber eine begnadete Netzwerkerin und schrieben sogar ein Buch über das Thema. Haben Sie in der Bahn auch schon mal Kontakte geknüpft?

Das hat sich bei mir ein bisschen gewandelt. Dadurch, dass ich auf so vielen Veranstaltungen präsent bin, sehe ich die Bahn eher als einen Entspannungs-und Rückzugsort. Was nicht heißt, dass ich nicht trotzdem gerne mal ins Gespräch komme. Einmal wurde ich während einer Fahrt von einer Frau angetwittert. Ich saß im Bistro und sie schrieb, dass sie mich dort gerade gesehen hätte. Und ich twitterte zurück: „Dann komm doch mal rum“. Das hat sie dann auch gemacht.

Reisen Sie auch privat mit der Bahn?

Ja, zum Beispiel in den Urlaub. Neben Berlin habe ich einen Wohnsitz in München, von dort fährt man superschnell in die Schweiz oder nach Südtirol. Meine Eltern in Karlsruhe besuche ich ebenfalls meistens mit dem Zug. Flugreisen habe weitestgehend eingeschränkt. Langstrecke fliege ich so gut wie gar nicht mehr, weil ich meine Hunde gerne bei mir haben möchte. Und die sollen nicht in irgendeinem Flugzeugbauch verstaut werden.

An welchem Bahnhof kommen Sie am liebsten an?

Natürlich in Berlin und München, weil ich dann weiß, dass ich wieder zu Hause bin. Aber wenn Sie nach dem schönsten Hauptbahnhof fragen, lautet die Antwort: Leipzig. Den habe ich selber erst kürzlich entdeckt. Der ist wirklich bezaubernd, alt und gleichzeitig modern, die traditionelle Architektur wurde bei der Renovierung wunderbar erhalten. Im Bahnhof gibt es eine riesengroße Buchhandlung, die direkt in ein Café übergeht. Perfekt, oder?