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Fachkarriere
Beruflicher Aufstieg auch ohne Führungsposition

01/2020

Bisher galt: wer Karriere machen will, muss irgendwann Führungsaufgaben übernehmen. Durch die Fachlaufbahn entsteht eine neue Form der beruflichen Entwicklung, bei der andere Kompetenzen zählen.

Durch die sogenannte Fach- oder Expertenlaufbahn erhalten Spezialisten innerhalb eines Betriebes die Möglichkeit sich formal weiterzuentwickeln, ohne Führungsthemen zu übernehmen. So kann ein Ingenieur in einem Bauunternehmen zuerst zum Experten für Holzbau werden, später übergreifende Projekte leiten und schließlich andere Bereiche im Betrieb strategisch beraten. HR-Expertin Regina Bergdolt erklärt, warum Fachkarrieren immer beliebter werden, was sie mit der Digitalisierung zu tun haben und worauf es für die gelungene Einführung einer solchen Laufbahn im Unternehmen ankommt.

Frau Bergdolt, was ist eine Fach- oder Expertenlaufbahn?
Das ist ein strukturierter Karriereweg in einem Betrieb. Auf jeder Stufe des Weges kommen Aufgaben hinzu, die mal fachlicher Natur sind und mal persönliche, soziale Kompetenzen erfordern. Der Mitarbeiter entwickelt sich weiter, zum Beispiel vom Fachberater zum Projektleiter und schließlich zum Bereichsberater. Die Aufgaben und Verantwortlichkeiten jeder Rolle müssen wie bei Führungspositionen klar definiert sein.

Warum gewinnt das Modell der Fachkarriere gerade an Popularität?
Die Menschen wollen die lange Zeit ihres Berufslebens selbst gestalten und sich gemäß ihrer Stärken entwickeln. Und: nicht jede oder jeder will führen, weil man sich dabei vom ursprünglich gewählten Fachgebiet entfernt und sich mit Reportings und Geschäftsprozessen beschäftigt. Als dritten Grund sehe ich den digitalen Wandel, der durch gut durchdachte Fachlaufbahnen unterstützt werden kann.

Befeuert die Fachkarriere also die Digitalisierung?
Ja, und zwar dann, wenn jene Kompetenzen, die das Unternehmen in der Zukunft braucht, in der Fachkarriere eingearbeitet sind. Die Mitarbeiter entfalten ihre Stärken, was wiederum die ganze Firma weiterbringt. Dafür ist es nötig, dass Betriebe endlich anfangen, Menschen nach Fähigkeiten zu beurteilen, und nicht nach Erfahrungen, die sie dann an anderer Stelle wiederholen sollen.

© Privat Regina Bergdolt ist Expertin für Kompetenzmanagement und Kompetenzaufbau für die digitale Transformation.

Was bewegt Unternehmen dazu Fachkarrieren einzuführen?
Zum einen sind es Aufträge oder Projekte, die bestimmtes Know-how erfordern. Die Telekommunikationsbranche musste etwa für Experten des neuen Mobilfunkstandards 5G ein entsprechendes Berufsangebot schaffen. Zum anderen wollen Unternehmen ihre Mitarbeiter halten und vermeiden, dass diese den Arbeitgeber wechseln müssen, um sich weiterzuentwickeln. Meiner Erfahrung nach bringen oft Mitarbeiter selbst den Stein ins Rollen, weil sie für ihr wachsendes Wissen Struktur und Sichtbarkeit fordern.

Können Sie Beispiele für Fachkarrieren aus Ihrem Beratungsalltag nennen?
Der Handel bildet zum Beispiel Mitarbeiter zu Fachberatern aus, die sich sehr gut mit Wein, veganem Essen, bestimmten Sportarten etc. auskennen und dadurch ein adäquater Ansprechpartner für gut informierte Kunden werden. Auch im Vertrieb gibt es Möglichkeiten: Etwa wenn verkäuferisch erfolgreiche Key Account Manager als zusätzliche Aufgabe erhalten, die an Land gezogenen Aufträge unternehmensintern zu begleiten. Die meisten Fachlaufbahnen bestehen bislang in der IT-Branche, weil dort flache Hierarchien und agiles Arbeiten verbreitet sind.

Worin liegt der Unterschied einer Fachkarriere zu regelmäßigen Weiterbildungen?
Hinter einer Fachkarriere steht eine klare Struktur mit definierten Kompetenzen, keine Aneinanderreihung von absolvierten Workshops. Mit der ausgeprägten Weiterbildungskultur in Deutschland vergessen wir gerne, dass es auch andere Wege gibt, sich Wissen und Können anzueignen: Wenn ein Junior-Projektmanager für seine nächste Karrierestufe interkulturelles Know-how braucht, kann er einen Senior beim Aufbau interkultureller Teams begleiten, anstatt ein Training zu besuchen. Weiterbildung ist eine Methode, kein Ziel.

Woran erkenne ich, ob ich eher der Typ für eine Fach- oder eine Führungslaufbahn bin?
Ich empfehle jedem, der sich diese Frage stellt, ein ungeschminktes Gespräch mit einer Führungskraft von jener Ebene, die für einen selbst in Frage kommt. Dabei sollten auch die weniger erfreulichen Seiten einer Position offen dargelegt werden. Für eine Fachkarriere entscheiden sich Menschen, die ein hohes inhaltliches Interesse haben: die Juristin, die in ihrem Spezialgebiet immer wieder publiziert, der Designer, der sich in der Freizeit in Museen neue Ideen holt, die Maschinenbauerin, die auch zuhause tüftelt. Diese Leute sehnen sich oft nach mehr Freiraum: Vielen Projektleitern etwa gefällt es, dass sie durch ihr Projekt eine Art Unternehmen im Unternehmen betreuen.

Ist das Gehalt bei beiden Karriereformen vergleichbar?
In der Theorie sind Fach- und Führungskräfte ebenbürtig, auch was Vergütung und Benefits anbelangt, in der Praxis vergessen Betriebe aber oft, dass ein Experte mit einem besonderen Know-how ein wichtiger Repräsentant beim Kunden ist und mit seiner Expertise Wert schafft. Eine Gehaltsentwicklung im Lauf der Fachkarriere ist sinnvoll, um die Fachkarrieren mit den Führungskarrieren vergleichbar zu machen.

Zur Person
Regina Bergdolt ist Expertin für Kompetenzmanagement und Kompetenzaufbau für die digitale Transformation in Unternehmen. Seit 20 Jahren betreut sie erfolgreich komplexe HR-Projekte und Auswahlverfahren für Schlüsselpositionen. Sie ist Unternehmerin und betreibt eine Software für Anwender professioneller strukturierter Job-Interviews. Mehr erfahren