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Unternehmenserfolg
Fit für die Zukunft

09/2021

Mit seinem Buch „Fit für die Zukunft“ richtet sich York von Heimburg an Führungskräfte und Mitarbeiter:innen der oberen und mittleren Hierarchie-Ebenen. Seine These: Leadership muss neu gedacht werden. Dafür schlägt von Heimburg, 35 Jahre lang in führenden Positionen internationaler Medien- und Verlagshäuser weltweit tätig, zwölf Strategien vor. WAGEN EINS hat dem Manager und Autor dazu ein paar Fragen gestellt.

© Hanser Verlag, Michael Steiner

Herr von Heimburg, sind deutsche Führungskräfte Ihrer Meinung nach nicht fit genug?

Das würde ich nicht generell unterstellen. Ich sage aber, es gibt erheblichen „room for improvement“. Wenn Sie sich die deutsche Wirtschaft, deutsche Unternehmen anschauen, dann werden Sie dort viele Stärken entdecken. Aber in dem jetzigen Umfeld der großen und immer größer werdenden Digitalunternehmen wie Google, Amazon, Apple & Co. auf der einen Seite und dem wachsenden Eco-System der Startups auf der anderen Seite muss ein Unternehmen und müssen damit auch die Führungskräfte schon den eigenen Weg vorzeichnen und dann auch gehen. Es braucht dort deutlich mehr Mut zum Risiko und mehr Mut zu Veränderung und ein Hinterfragen der eigenen Sichtweise. Das ist etwas, was bei den doch nach wie vor stark hierarchischen Strukturen in deutschen Unternehmen eher schwierig ist. In vielen deutschen Unternehmen wird immer noch nach dem „der Ober sticht den Unter“-Prinzip gehandelt. Ein veraltetes Modell, ein Auslaufmodell. Heute gilt: Alles Wissen, das in einem Unternehmen steckt, sollte transparent gemacht werden. Führungskräfte sollten die Mitarbeiter:innen motivieren und bestärken, ihre Ideen zu präsentieren und dann auch mutig umzusetzen. Ich plädiere für eine Mut- und Verantwortungs-Kultur.

Ihr Buch behandelt die Wichtigkeit einer eigenen Stärken- und Schwächenanalyse. Ist sie die Basis für eine gute Führungskraft?

Absolut. Die eigene Stärke zu erkennen und auszuleben, ist ganz wichtig. Wenn man das macht, in dem man stark ist, dann macht man es gern und gut. Dann ist es kreativer Spaß. Leidenschaft anstelle von Mühsal. Wenn man in einem Feld schwach ist, dann muss man erst unglaublich viel Aufwand betreiben, um darin stark zu werden. Wenn ich um meine Stärken weiß, bin ich mir in der Folge auch über meine eigenen Schwächen bewusst und kann auch die Schwächen delegieren an jemanden, der meine Schwäche zu seiner Stärke macht. Das nenne ich komplementäre Führung. Schlimm ist es, in die Delegationsfalle zu tappen. Das heißt, Menschen delegieren nicht ihre Schwächen, sondern ihre Stärken. Das ist eine Katastrophe. Warum delegieren Führungskräfte ihre Stärken? Weil sie die wesentlich besser kontrollieren können. Das sind dann die sogenannten Kontroletti-Manager:innen, davon gibt es übrigens unglaublich viele in Deutschland. Es ist doch ein Wahnsinn, wenn man seine Stärken delegiert und dadurch die eigenen Schwächen behält. Damit lässt sich der Andere kleinhalten. Und Kontrollfreaks sind nun einmal Menschen, die andere kleinhalten wollen. Ein Albtraum. Wenn man dagegen Schwächen konsequent delegiert und sich in den Stärken ergänzt, erhöht man die Wirksamkeit um 100 Prozent. Voraussetzung für das Delegieren von Schwächen ist Vertrauen. Und da hapert es bei vielen Führungskräften. Vertrauen und Loslassen von Verantwortung ist aber ein wesentlicher Bestandteil erfolgreicher Delegation.

Was sind nach Ihrer Meinung die drei größten Fehler, die eine Führungskraft machen kann?

Ich denke, die größten Fehler sind, den eigenen Verantwortungsbereich nicht sauber definiert zu haben, nicht zu delegieren, alles selber machen zu wollen, zu jeder Zeit der Mittelpunkt und der Entscheider des Handelns sein zu wollen, nicht fähig zu sein, zuhören zu können. Dann: Andere Fähigkeiten, Kapazitäten, Skills in seinem eigenen Unternehmen nicht zu erkennen und die Menschen nicht zu befähigen, sie nicht zu motivieren. Keinen ausschließlichen Fokus auf die Bedürfnisse und zukünftigen Bedürfnisse der Kund:innen und potenziellen Kund:innen zu haben. Und drittens, wie schon gesagt: Keinen Mut, keine Risikobereitschaft und dadurch auch keinen Willen zur Veränderung und Innovation zu haben.

Von Hierarchien halten Sie nicht viel?

Hierarchien in Unternehmen blockieren oftmals die Kreativität. Viele Mitarbeiter:innen können ihre Kreativität nur dann entfalten, wenn sie angstfrei ihre Ideen präsentieren und dann auch umsetzen können. Oftmals wird das schon im Keim erstickt, weil keine entsprechende Führungskultur gelebt wird. Mitarbeiter:innen haben ein sehr feines Näschen dafür, ob und wie ihre Ideen von den Führungskräften aufgenommen, kommentiert und schließlich umgesetzt oder auch nicht umgesetzt werden. Ein Gesetz bei IDG Communications, wo ich zuletzt gearbeitet habe, hieß „Let’s try“!‘ Alle Mitarbeiter:innen sind immer aufgefordert, Ideen zu präsentieren und auch selbst umzusetzen. Das muss in der Kultur eines jeden Unternehmens fest verankert sein: das stetige Einfordern von Kreativität, Innovation und eine klare und unmissverständliche Kundennähe.

Stichwort „Selbstorganisation aller Teammitglieder“: Es gibt Mitarbeiter:innen, die sich nicht gut selbst organisieren können.

Meine These ist, dass Unternehmen ihren Mitarbeiter:innen generell zu wenig zutrauen. „Fordern, fördern und vertrauen“ ist aber ein wichtiges, wenn nicht sogar das wichtigste Thema. Nur in so einer Unternehmenskultur können Mitarbeiter:innen Fehler machen, die einfach notwendig sind, um sich und das Unternehmen immer weiter zu entwickeln. Selbstreflexion ist dabei sowohl von der Führungskraft als auch von den Mitarbeiter:innen gefordert. Fast alle großen Entwicklungen und Fortschritte in Unternehmen basieren auf Teamleistung. Und bei einem Team ist es immer so: Es gibt welche, die laufen vor dem Team und es gibt welche, die laufen hinterher. Aber das Ganze ist ein Zusammenspiel der individuellen Stärken und Schwächen jedes einzelnen Mitglieds des Teams und der Gesamtheit des Teams. Da es heutzutage schwer ist, neue, gute Mitarbeiter:innen zu rekrutieren, sollte man seine eigenen Mitarbeiter:innen exakt analysieren, stärken und schulen, anstelle gleich extern zu suchen. Ich behaupte, dass es sehr viele gute Mitarbeiter:innen in unseren Unternehmen gibt, aber die Führungskräfte wissen das oft gar nicht. Dabei stärkt es die eigene Belegschaft, wenn man seine eigenen Mitarbeiter:innen konsequent gute Aufstiegsmöglichkeiten bietet. Das hat auch zur Folge, dass die Mitarbeiter:innen wesentlich länger in einem Unternehmen bleiben.

Wie lernen Führungskräfte, souverän mit Kritik umzugehen?

Führungskräfte, die nicht fähig sind, zuzuhören, keine Achtsamkeit aufbringen, keine Kritikfähigkeit besitzen, die gehören zur alten Garde und meines Erachtens ausgetauscht. Sie konterkarieren eine moderne Unternehmenskultur. Wer nicht für eine angstfreie Unternehmenskultur sorgt und stattdessen selbstherrlich regiert, den muss man austauschen.

Sollte in ihrem Arbeitsvertrag stehen, dass Führungskräfte regelmäßig Führungskräfteseminare besuchen müssen?

Es geht um die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen. Das setzt voraus, dass auch die Führungskraft das wirklich will. Ich kann Führungskräfte zu unzähligen Führungskräfte-Seminaren schicken, aber das nutzt alles nichts, wenn die Inhalte am Ende nicht verinnerlicht werden. Oder wenn die Persönlichkeit so gestrickt ist, dass sie nach wie vor „Ober sticht Unter“ denkt. Es geht vor allem darum, dass die Führungskraft ihre eigene Persönlichkeit definiert, sich stetig selbstreflektiert und hinterfragt: Wo stehe ich? Welche Verbindung habe ich zu meinen Mitarbeiter:innen? Wie kritikfähig bin ich? Wie offen für Veränderung bin ich, und bin ich bereit an meiner eigenen Persönlichkeit zu arbeiten? Führungskräfte, die ängstlich sind und deshalb alles kontrollieren wollen, kann man auf noch so viele Seminare schicken, das bringt nichts. Ich halte sehr viel von Führungskräfte-Entwicklung in der Praxis. Wenn Trainer:innen und Coaches in das Unternehmen gehen, der Führungskraft bei der täglichen Arbeit zuschauen, sie analysieren und ihnen dann im Augenblick der Aktivität eine alternative Lösung anbieten können, dann kann daraus ein sehr attraktives und effizientes Training on the Job werden. Das bringt mehr als alle theorielastigen Lehrgänge.

„Digital First“, schreiben Sie, sei die Devise der Zukunft. Was bedeutet das für Führungskräfte? Müssen sie halbe IT-ler:innen sein?

Nein, man muss selbst kein:e IT-ler:in sein, aber man muss sich mit Technologien aktiv auseinandersetzen und zumindest wissen, was Technologie im eigenen und übergreifenden Tätigkeitsbereich bewegen kann. Technologie muss ganz oben auf der Agenda stehen. CIOs und CTOs müssen direkt in der Geschäftsführung sitzen. In vielen deutschen Unternehmen, gerade in mittelständischen, sitzen noch viel zu wenige Technologen direkt in der Unternehmensleitung. Programmierer:innen müssen zum Beispiel aktiver Teil der Strategie- und Produktentwicklung, der Wertschöpfungskette, des Vertriebs etc. sein und nicht isoliert im Unternehmen agieren. Deswegen haben wir in der deutschen Wirtschaft auch Probleme bei der Digitalisierung. Wir hinken in vielen Bereichen speziell in dem Technologie-Bereich im internationalen Vergleich hinterher. Das ist eine Bedrohung, weil es heute viele Länder gibt, wie die USA, China und die skandinavischen Länder, in denen das Thema Technologie ein fester Bestandteil in allen Unternehmensbereichen ist. Ohne das sind Unternehmen zum Bespiel gar nicht in der Lage, eine leistungsfähige und skalierende Service-Plattform aufzubauen.

Stichwort Nachhaltigkeit: Inwieweit haben deutsche Unternehmen diesen Aspekt verinnerlicht? Man hat doch oft das Gefühl, dass zum Beispiel Umweltschutzmaßnahmen nur durch Druck von außen passieren?

Nachhaltigkeit ist ein Thema, das noch viel zu langsam anläuft. Aber der Wunsch des Kunden nach nachhaltigen Produkten wird immer stärker und akzeleriert. Und alle Unternehmen, die sich da zögerlich verhalten, werden auf Dauer Schiffbruch erleiden. Das geht einher mit dem veränderten Umwelt-Bewusstsein in der Bevölkerung und dem Druck, unter dem die Politik steht, die gesetzten Umweltziele zu erreichen. Dazu muss beispielsweise die Dekarbonisierung konsequent in allen Unternehmen vorangetrieben werden. Da ist viel an Innovationskraft notwendig und Unternehmen sind gezwungen, dies immer mehr in den Fokus zu stellen. Auch hier gilt: Nachhaltigkeit muss schon in die Produktentwicklung einbezogen sein. Auch um die Entsorgung der eigenen Produkte müssen sich Unternehmen Gedanken machen. Wenn die deutsche Wirtschaft in Richtung Umwelttechnologie mehr Gas gäbe, dann würde sie sich in diesem Bereich international abheben. Deutschland könnte sich einen USP gegenüber anderen Nationen erarbeiten. Die Wirtschaft braucht aber dazu von der Politik einen klaren Rahmen. Das gäbe dann einen wirklichen Boost staatlicher und privater Investitionen und würde nachhaltiges Wirtschaften richtig befeuern.

Generell zu Ihrem Buch „Fit für die Zukunft“: Wie sollte eine Führungskraft Ihr Buch nutzen?

Ich war noch nie jemand, der sagt, ich schreibe ein Buch (Anm. der Red.: Fünf sind es mittlerweile insgesamt) und man solle allen Strategien darin zu 100 Prozent folgen. Wichtig ist mir, dass man sich als Führungskraft bestimmte Themen und Entwicklungen bewusst macht. Darüber reflektiert und dann das eigene Verhalten verändert. Mein Buch gibt da einen guten aktuellen Überblick, wie man innovative, moderne und nachhaltige Führung lebt. Es gibt praktische Tipps, wie man das machen kann. Wer sich von einem Aspekt besonders angesprochen fühlt, kann dann tiefer einsteigen.