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Nachhaltigkeit
Jetzt Farbe bekennen

09/2016

Nachhaltigkeit ergibt nur Sinn, wenn sie einer tief empfundenen Leitlinie folgt und alle Teile eines Unternehmens erreicht. Noch ist das bei den wenigsten der Fall. Aber immer mehr Manager sehen ein, dass sie nur noch so in der Zukunft bestehen können.

Es gibt da diese vielsagende Anekdote, die sich so auf einer prominent besetzten Nachhaltigkeitskonferenz zugetragen hat. Einer der Redner ist der niederländische Geschäftsführer Bas van Abel, ein hipper Start-up-Unternehmer wie aus dem Bilderbuch, Lockenkopf, Dreitagebart, lässig aufgekrempeltes Oberhemd. Er erklärt dem Plenum die Anstrengungen seiner Firma Fairphone, ein Handy nachhaltig zu produzieren. Ohne Metalle aus Krisenregionen im Innern, modular aufgebaut und somit langlebiger, hergestellt unter transparenten Bedingungen. Allen wird klar: Der Nachhaltigkeitsgedanke ist von vornherein in die Herzkammer des Unternehmens implantiert worden.

Nach dem Applaus kommt eine kleine Dame zu Bas van Abel. Sie stellt sich als Nachhaltigkeitschefin eines weltbekannten Elektronikgiganten vor und fragt, ob er ihr nicht helfen könne. Ihr Chef habe ihr das Fairphone auf den Tisch gelegt und mit Nachdruck gefragt, warum man selbst zu so etwas nicht in der Lage sei. Bas van Abel hilft gern – und wird wenig später nach Japan eingeladen …

Auch die Deutsche Telekom schmückt sich inzwischen mit der Expertise des gescheiten Underdogs. Schon auf den ersten Seiten des Corporate-Responsibility-Berichts von 2014 wird Bas van Abel zitiert: „Hinter jedem Pixel und jedem Byte steckt eine Welt voller Rohstoffe, Produktionsstätten, Recycling- und Vertriebsverfahren. Eine Welt, die wir nicht mehr sehen. Es ist höchste Zeit, sie wieder sichtbar – und damit menschlich – zu machen.“

Das Fairphone als Wegbereiter

Der 37-jährige Fairphone-Gründer scheint etwas angestoßen zu haben. Als er 2010 begann, stand nicht der Gedanke im Vordergrund, mit einem weiteren Smartphone den Markt zu erobern (es wurden bisher ja auch erst 60000 Handys verkauft). Vielmehr wollte er mit einem der komplexesten Gadgets unseres Alltags Debatten anstoßen: über eine verantwortungsvolle Herstellung in einer Welt voller Produkte, von denen niemand mehr weiß, was eigentlich in ihnen steckt.

Die Berliner Firma Rankabrand erstellte 2014 eine Rangliste, nach der Fairphone der weltweit am nachhaltigsten produzierende Elektronikhersteller ist. Für das Gros der Branche kam das Ranking einer Bankrotterklärung gleich. Die meisten der 20 untersuchten Marken erfüllten nicht einmal ein Drittel der Kriterien für soziale und ökologische Nachhaltigkeit. Ein Problem bei der Analyse war zudem die Entlarvung von Greenwashing, also der Strategie, die Öffentlichkeit mit oberflächlichen Maßnahmen zu täuschen. So hatten 85 Prozent der untersuchten Handyhersteller zwar eine Initiative zur Vermeidung von Konfliktmaterialien gestartet. Aber nur Fairphone und Apple konnten darlegen, dass sie das Anliegen in die Tat umsetzen.

Nachhaltigkeit: Für Konzerne stellt sich die Frage: Trauen Kunden ihnen zu, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern?
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Was Nachhaltigkeit bedeutet

„Maximal fünf Prozent der Unternehmen in Deutschland sind hinsichtlich eines nachhaltig ausgerichteten Wirtschaftens wirklich glaubwürdig“, schätzt Michael D’heur, der sich mit seiner Münchner Firma shared.value.chain auf die Beratung von Managern in Nachhaltigkeitsfragen spezialisiert hat.“Weitere fünf Prozent haben gerade angefangen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Die anderen 90 Prozent machen das, was man vorher auch schon gemacht hat – sie engagieren sich ein bisschen. Es fehlt den meisten Unternehmen immer noch an dem Bewusstsein, dass Nachhaltigkeit mehr bedeutet, als hundert Bäume zu pflanzen oder in der Kantine einmal pro Woche vegetarisches Essen servieren zu lassen.“

Jedes Mal, wenn Michael D’heur von einem transformationswilligen Konzern um Hilfe gebeten wird, geht er nach dem gleichen Prinzip vor: zuerst die Standortbestimmung, dann das passende Konzept, zuletzt die Hilfe bei der Umsetzung. So unterschiedlich die Firmen sind, so unterschiedlich sind anfangs auch deren Vorstellungen von Nachhaltigkeit. Allerdings zeugen schon die Ursprünge des Nachhaltigkeitsbegriffs von seiner Schieflage. Der viel zitierte Hans Carl von Carlowitz gilt als sein Urheber, weil er schon 1713 im Erzgebirge „nachhaltende“ Baumnutzung anmahnte. Dabei dachte der Oberberghauptmann aber vor allem daran, dass dauerhaft genug Holzressourcen verfügbar sein müssen, um die Verhüttung der abgebauten Erze nicht zu gefährden. Über die Nachteile von Erzabbau und Verhüttung sprach er nicht.

So wird der Begriff bis heute aus verschiedenen Blickwinkeln interpretiert. Aber was ist richtig verstandene Nachhaltigkeit? Kurzum, sie soll das Überleben und die Unversehrtheit aller sichern, strahlt über 360 Grad und findet in sämtlichen Kernbereichen einer Organisation statt. In den Produkten, der Lieferkette, der Strategie, der Personalentwicklung und -fürsorge sowie der Kommunikation. Bei einem Start-up wie Fairphone, das bei null startete, ist diese Ausrichtung einfach festzulegen. Unternehmen, die schon länger am Markt sind und ihre bislang funktionierenden Wertschöpfungsketten aufbrechen müssten, scheint das ungeheuer schwerzufallen.

Nachhaltigkeit? Chancen!

Dabei ist Nachhaltigkeit in Anbetracht der sich häufenden Finanzkrisen, der labilen Märkte, der nicht abreißenden kriegerischen Konflikte, der stetig wachsenden Weltbevölkerung und Migrationsbewegungen, der immer knapper werdenden Ressourcen, der Enthüllungen über giftige Produkte und die Ausbeutung von Arbeitern faktisch seit Beginn des 21. Jahrhunderts dauerhaft im Fokus von Forschung, Politik, Wirtschaft und Medien. Und ganz offensichtlich ist das Prinzip einer auf lineares Wachstum ausgerichteten Wirtschaft nicht zukunftsfähig, sondern höchst zerstörerisch. Darüber sind sich alle einig. Kann man Nachhaltigkeit also als Megatrend bezeichnen? Nein, nur äußerlich vielleicht. Im Innern vieler Unternehmen sieht es noch aus wie in der heilen Welt der 90er-Jahre.

Michael D’heur kennt das aus seiner täglichen Arbeit:“Lass uns doch mal über Nachhaltigkeit sprechen!“ – wenn er mit dieser Aufforderung einen Manager der alten Wachstumsschule anspricht, bekommt er nur schwer einen Termin. Ganz anders sieht es aus, wenn er sagt: „Lasst uns doch eure Risiken in Chancen verwandeln!“ Firmen sind offenbar gern bereit, Zeit und Geld zu investieren, wenn es um Risikomanagement geht. Doch Gefahrenabwehr ist defensiv und klingt nach Opferrolle. Die andere Seite der Medaille zu betrachten hieße, positiv zu denken, selbstbestimmt die Möglichkeiten der Firma ins Verhältnis zur globalen Gesundheitsprognose zu rücken, eben bewusst nachhaltig zu sein. „Seid proaktiv, packt an“, appelliert Michael D’heur, „dann seid ihr auch in Zukunft führende Unternehmen und nicht welche, die hinterherhinken!“

Für Konzerne stellt sich die Frage: Trauen Kunden ihnen zu, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern?

An den klassischen Wachstumszielen herumzuschrauben, hält Dirk Löhr, Professor für ökologische Ökonomik am Umwelt-Campus der Hochschule Trier, angesichts vieler vergeblicher Versuche für wenig zielführend. „Es ist nicht Aufgabe der Manager, die Welt zu retten“, sagt er. „Sie sind derzeit in erster Linie ihren Anteilseignern verpflichtet. Wenn sie entgegen deren Interessen handeln, machen sie sich womöglich sogar einer Pflichtverletzung schuldig. Ich persönlich setze nicht viel auf Wirtschaftsethik.“ Das Ergebnis seien meist Greenwashing und Heuchelei. Löhr knüpft seine Vision von einer nachhaltigen Wirtschaft dagegen an die Gestaltungskraft der Politik, genauer: einer lobbyresistenten Politik. „Basteln wir um des Gemeinwohls Willen an einem starken, über den derzeit mächtigen Sonderinteressen stehenden Staat.“

Bis dahin liegt es an einzelnen Akteuren der Wirtschaft, der Entwicklung eine neue Richtung zu geben. Stehen sie noch für den alten Wachstumsbegriff, oder handeln sie schon in dem Bewusstsein, dass auch die Enkelgenerationen noch etwas von der Erde haben sollen? Bei allem Nachholbedarf – Bas van Abel von Fairphone steht nicht allein da, punktuelle Erfolge gibt es inzwischen viele. So suchte die Deutsche Bundesstiftung Umwelt gemeinsam mit dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung nach „Postwachstumspionieren“ – und fand Beispiele von Unternehmen, die sich vom Dogma des Wachstums abgekehrt und sich dennoch am Markt behauptet haben.

Gelebte Nachhaltigkeit

So entschied sich der Wuppertaler Schnürsenkelproduzent Carl Klostermann Söhne gegen ein weiteres Wachstum, um das Geschäft beherrschbar zu halten. Stattdessen setzt er auf Qualität aus der Region. Da ist der Bierhersteller Neumarkter Lammsbräu, der sich seit jeher auf die Biobier-Nische konzentriert. Allein die regionale Verfügbarkeit von Hopfen in Bioqualität begrenzt die Ausweitung der Produktion. Die Investitionen gehen in die Qualität des Sortiments. Da sind die Ökostromverkäufer der Elektrizitätswerke Schönau in Baden-Württemberg, deren basisdemokratische Struktur dafür sorgt, dass die nachhaltigen Unternehmensziele eingehalten werden.

Die Beispiele haben eines gemeinsam: Immer sind es einzelne Menschen oder Gruppen Gleichgesinnter, Überzeugungstäter, die dafür brennen, das Nachhaltigkeitsversprechen einzulösen. Kleinen wie mittelständischen Firmen mag das leichterfallen als Konzernen. Aber auch die Anstrengungen mancher Big Player spenden durchaus Zuversicht. So hat sich die Deutsche Bahn in ihrer „Vision 2020“ verpflichtet, Ökonomie, Ökologie und Soziales dauerhaft in Einklang zu halten. Insbesondere durch die Reduzierung von CO2-Emissionen und von Lärmbelastung im Schienenverkehr will das Unternehmen bis 2020 „Umweltvorreiter“ werden. Beim Software-Riesen SAP wurde eine „Nachhaltigkeitsmatrix “ verankert. Seitdem wird aus allen Bereichen bis ganz nach oben über die grünen Herausforderungen berichtet. Daniel Schmid, Leiter Nachhaltigkeit bei SAP, sagt, dass man an dem Ziel arbeite, „keine Nachhaltigkeitsziele mehr zu haben“.

Michael Otto, Gründer der Stiftung „2 Grad“, begann bereits in den 80er-Jahren, das Versandhaus vom Verpackungsmaterial über den Energieverbrauch bis zur Produktion von Waren umweltfreundlicher zu gestalten. Und er hat erkannt: Nachhaltigkeit lohnt sich. „Nach einiger Zeit machen sich die Investitionen bezahlt, und man hat Ressourcen geschont „, sagte er vor Kurzem im „Zeit“-Interview.

Die meisten Konzerne, die bewusst auf Nachhaltigkeit setzen, verbessern ihre Ergebnisse. Indem sie Einsparpotenziale bei Energie und Transport nutzen, Motivation und Kreativität der Mitarbeiter fördern, bewusst konsumierende Neukunden anziehen. Nur 20 Prozent des Werts eines Unternehmens, so schätzen Experten, haben mit dessen Vermögen zu tun. Der große Rest wird durch immaterielle Faktoren bestimmt wie Image oder Zukunftspotenzial. Die Schlüsselfrage wird also sein: Trauen immer umweltbewusstere Kunden und Investoren einem Konzern zu, für die großen Herausforderungen gerüstet zu sein?