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Reden wir über...
War of Talents

10/2016

Karriere, Geld, Status? Nicht so wichtig. Dafür soll der Arbeitsplatz viel persönlichen Spielraum bieten, sagt Gabriele Korge vom Fraunhofer-Institut. Den War of Talents gewinnen Firmen, die flexibel auf die Wünsche der Nachwuchstalente reagieren.

Frau Korge, nach Untersuchungen verschiedener Beratungsunternehmen haben zwei Drittel aller deutschen Unternehmen Schwierigkeiten, sogenannte High Potentials für sich zu gewinnen. Deckt sich das mit Ihren Einschätzungen?

Es gibt mehrere Entwicklungen, die dafürsprechen. Ein Treiber ist sicher der demografische Wandel. Die Babyboomer werden in den kommenden Jahren in großer Zahl aus dem Berufsleben ausscheiden und im mittleren und oberen Management Stellen räumen, die neu zu besetzen sind. Begleitet wird dieser Trend von einem sich wandelnden Bewusstsein bei den jungen Akademikern. Unter ihnen sagen immer mehr: „Führungskraft will ich gar nicht werden.“ Die haben Vorbehalte und fragen sich, was sie dafür tun müssen und was es ihnen bringt.

Zum Beispiel Karriere, Status, ein hohes Gehalt…?

Das können Sie heute gern mal ersetzen durch Leit­begriffe wie Sinn, Spaß und selbstbestimmte Arbeit.

Sie sprechen von den Bedürfnissen der sogenannten Generation Y?

Nicht nur. Wir haben in einer Studie 1500 Studenten unterschiedlichen Alters befragt und sehen, dass sich die Werte von Generation zu Generation verändern.

Zur Person Gabriele Korge, geboren 1966 in Stuttgart, machte Gabriele Korge zunächst eine Ausbildung als Nachrichtentechnikerin. Sie studierte Sozialwis­senschaften und BWL und arbeitet seit 2011 am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation. Zusammen mit Dennis Stolze und Susanne Buck erforschte Korge zuletzt die Frage, wie junge Menschen künftig arbeiten wollen und sich Firmen darauf einstellen.

Was genau haben Sie herausgefunden?

Die Einstellungen zur Arbeit haben sich über die Jahrzehnte sehr verändert. Die geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten Babyboomer, orientieren sich noch stark an Nine-to-five-Arbeitszeiten, sind auf Sicherheit und Absicherung des Arbeitsplatzes bedacht; die darauffolgende Generation X ist sehr leistungsorientiert, will den Erfolg spüren und ist bereit, die Wahl des Arbeitsortes den Erfodernissen des Jobs unterzuordnen. Auch die viel zitierte Generation Y, die bereits jetzt in den Betrieben angekommen ist, bringt ein hohes Maß an Flexibilität mit. Für sie ist damit aber vor allem ein Höchstmaß an Selbstorganisation gemeint. Statt Anwesenheitspflicht im Büro bevorzugt sie die Möglichkeit, jederzeit von überall aus zu arbeiten – auch zu ungewöhnlichen Zeiten.

Und was möchten die jüngeren Generationen?

Von den etwa 20-Jährigen. Bei ihnen, der Generation Z, kehrt sich der Trend wieder um. Sie nähern sich einerseits wieder mehr dem Nine-to-five-Ideal der Babyboomer, betonen andererseits ihren Anspruch auf Freizeit und Work-Life-Balance, achten auf ihre Gesundheit und gestalten ihr Leben auch außerhalb der Berufswelt. Sie sind insofern auch zeitlich und örtlich weniger flexibel; ähnlich wie die Generation Y sind sie ­kommunikativ orientiert, wollen mit den Kollegen ausmachen, wie sie welche Arbeitsziele erreichen, wie sie gemeinsam vorgehen und möchten ihre Arbeit gern selbst organisieren.

Das heißt, der klassische Weg durch die Hierarchien entlang der Karriereleiter hat an Reiz verloren?

Ja, das trifft auf viele Berufseinsteiger und Hochschulabsolventen zu; die Perspektive, sich vom kleinen Rädchen zum größeren zu entwickeln, zieht nicht mehr.

Bahnprofil Neben ihrer Forschungstätigkeit berät Gabriele Korge bundesweit Unternehmen in Fragen der Personalentwicklung und legt im Jahr mehrere tausend Kilometer mit der Bahn zurück. „Im Zug kann ich mich in Ruhe vorbereiten, das schätze ich sehr.“

Andererseits stehen bei den Rankings der beliebtesten Unternehmen immer wieder große Konzerne an oberster Stelle – ein Widerspruch?

Viele Konzerne profitieren bis heute von ihrem guten Image und ihren weltweit gefragten Produkten. Auf die veränderten Erwartungen junger Führungskräfte aber haben sich die wenigsten eingestellt.

Woran liegt das?

Ein Problem sind die Human-Ressources-Abteilungen selbst. Aus Studien wissen wir, dass gerade die Personaler oft die Letzten sind, die sich in ihrer Arbeit moderner Kommunikationskanäle wie sozialer Medien be­dienen. Zudem versteht sich der Personalbereich nicht als Business-Partner des Unternehmens. Dabei sollte ihm eigentlich die Aufgabe zukommen, die Veränderungen in der Berufswelt aufzugreifen und Einfluss auf die Ausrichtung in der Organisation zu nehmen.

Wenn vom Wettbewerb um die besten Nachwuchskräfte die Rede ist, fällt oft das Wort „Feelgood“. Braucht künftig jedes Unternehmen Wohlfühl-Manager, die auch auf private Wünsche und Sorgen der Mitarbeiter eingehen?

Unbedingt, wobei mir Wohlfühlen als Begriff nicht gefällt. Es geht vor allem darum, optimale Arbeitsbedingungen zu schaffen. Das beginnt schon beim Antritt einer Stelle. Man beginnt in einem Unternehmen und ist erst mal wochenlang damit beschäftigt, sich zurechtzufinden, bevor man überhaupt produktiv sein kann. Das ist immer noch weit verbreitet. Oder die Tatsache, dass man für Dienstreisen komplizierte Anträge ausfüllen muss oder viel zu oft in unproduktiven ­Meetings sitzt. Um das zu verhindern, braucht man Feelgood-Manager, die sich kümmern.

Die Betreuung der Kinder zu regeln – auch das kann Aufgabe des Feelgood-Managers sein. Der Mitarbeiter soll den Kopf für den Job frei haben.
Gabriele Korge

Was zählt noch zu deren Aufgaben?

Alles, was Mitarbeiter davon abhält, sich voll auf ihren Job zu konzentrieren. Dazu gehört auch, bei Bedarf die kurzfristige Betreuung der Kinder zu regeln; aber es geht auch um Fragen der Arbeitsorganisation. Zum Beispiel: Wie bekomme ich das hin, mit einem Kollegen einen Kundentermin vorzubereiten und vorab dazu noch einen externen Experten heranzuziehen, damit ich mich nicht selbst einarbeiten muss, was zehnmal länger dauern würde. Feelgood heißt: Der Mitarbeiter hat den Kopf frei für seinen Job.

Lässt sich diese Funktion besser in kleinen als in großen Unternehmen integrieren?

In Unternehmen, die nicht so groß sind, kennt jeder jeden, hier wird oft selbstorganisierter gearbeitet, weil es keinen Riesenapparat um einen herum gibt; aber mit den kommenden Jahrgängen stehen auch größere Organisationen vor der Aufgabe, neue Arbeitsbedingungen zu schaffen. Es wird ihnen gar keine andere Wahl bleiben, denn die Mitarbeiter alten Schlags scheiden mehr und mehr aus.

Angesichts der wachsenden Nachfrage nach talentierten Kräften stellt sich Unternehmen auch die Frage, wie sie diese dauerhaft halten können – oder spielt ein langes Arbeitsverhältnis in den Über­legungen der Mitarbeiter keine Rolle mehr?

Nach unseren Umfragen suchen die meisten Studenten eine unbefristete Vollzeitanstellung. Das liegt bei deutlich über 90 Prozent, egal aus welcher Fachrichtung sie kommen. Damit einher geht auch der Wunsch nach einem festen Standort. Man sieht das bereits in der IT-Branche, in der auch kleine Standorte erhalten bleiben, weil die Mitarbeiter nicht umziehen wollen. Wenn sie die Wahl haben, tritt die viel beschworene Flexibilität doch zurück hinter dem Bedürfnis nach einem vertrauten Lebensumfeld.