Portrait Experte und Psychologe Stephan Grünewald
© Marina Rosa Weigl

Zukunft der Arbeitswelt
„KI ist wie die Starthilfe für ein neues Arbeitsleben“

11/2023

New Work, Elektromobilität und Digitalisierung sind Themen, die uns in den kommenden Jahren beschäftigen werden. Welche Veränderungen zeichnen sich ab? Wie werden wir künftig arbeiten. Und wieviel Worklife-Balance können wir uns leisten? Im Interview mit WAGEN EINS blickt der Psychologe Stephan Grünewald, Gründer des rheingold Institutes, in die Zukunft.

WAGEN EINS: Herr Grünewald, Sie führen in Ihrem Institut regelmäßig Interviews mit Menschen aus verschiedenen Gesellschaftskreisen, mit Managern ebenso wie mit Angestellten – wie blicken die Deutschen gerade in die Zukunft?

Grünewald: Aus unserer aktuellen Studie geht hervor, dass die Deutschen eine überraschend hohe Zuversicht mit Blick auf ihr privates Leben hegen, aber eine erschreckend niedrige in Bezug auf Politik und Gesellschaft. Die Menschen haben zwischen ihrer eigenen Welt und der Welt da draußen einen Verdrängungsvorhang gespannt und versuchen vieles auszublenden was gerade an Unruhen, Kriegen und Krisen passiert.

WAGEN EINS: Überwiegt denn der Glaube, die Zukunft gestalten zu können?

Grünewald: Es gibt eine große Sehnsucht nach Selbstwirksamkeit und Gestaltung. Aber die spielt sich eher in der Rückzugsbewegung ab. Man zieht sich ins Schneckenhaus zurück in der Gewissheit, dass man das Leben dort im Griff hat. Das haben wir alle in der Pandemie gelernt. Da wurde zuhause gewerkelt und verschönert, um sich eine Wohlfühloase zu schaffen.

WAGEN EINS: Ein Thema beschäftigt die Menschen in allen Bereichen: die Künstliche Intelligenz – ein Angstthema oder eines, das viel Hoffnung macht?

Grünewald: Mit der KI sind vor allem Erlösungsgedanken verknüpft. Hier erwacht der alte Menschheitstraum, dass die Maschinen uns die Arbeit bald abnehmen werden. Wir hoffen, dass der technische Fortschritt für uns die Probleme löst, die jetzt als unlösbar erscheinen. Viele sehen in der KI so etwas wie eine Starthilfe für ein neues Arbeitsleben, dass wir am Ende nur noch selbst veredeln müssen. Ich vergleiche das gern mit der Einführung der Tütensuppe, die uns viel Arbeit erspart hat. Erfolgreich wurde sie aber erst, als man erkannte, dass man sich rührend um sie kümmern und noch etwas Sahne hinzugeben muss.

WAGEN EINS: Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung könnten bis zum Jahr 2050 25 Prozent der Arbeitsplätze durch die KI verloren gehen – das klingt bedrohlich …

Grünewald: Diese Sorge höre ich auch in Interviews, doch sie wird überlagert von der Hoffnung, mithilfe der KI weniger arbeiten zu müssen. Wir erleben ja gerade, dass immer mehr Beschäftigte den Wunsch haben in Teilzeit zu arbeiten, ein Sabbatical zu machen. Oder sie befürworten die Vier-Tage-Woche. Und von der KI wird erwartet, dass sie die fehlende Produktivität ersetzt.

WAGEN EINS: Wieviel Worklife-Balance kann sich unsere Volkswirtschaft leisten?

Grünewald: Das ist eine zentrale Frage. Wenn die geburtenstarken Jahrgänge wegbrechen, wird es in machen Fachbereichen eng. Das sieht man bereits im Handwerk oder in sozialen Berufen. Das ist volkswirtschaftlich problematisch.

worklife balance
Alles ausgewogen: Das Bedürfnis nach Worklife-Balance wird von den Möglichkeiten der KI beflügelt
© Getty Images

WAGEN EINS: Gerade die jüngeren Generationen stehen unter dem Verdacht, mehr auf Balance denn auf Work zu achten – verliert Leistung zunehmend an Stellenwert?

Grünewald: Ich habe vor zehn Jahren ein Buch über die erschöpfte Gesellschaft geschrieben, es handelt von einer leistungsorientierten Bevölkerung, die in fast besinnungsloser Betriebsamkeit verstrickt und latent vom Burnout bedroht ist. Die Kinder dieser Generation sagen sich heute: „Diesen Fehler wiederholen wir nicht, denn wir wissen ja, wohin das führt.“ In vielen Berufen ist man mit kleinen, formalisierten Schritten beschäftigt, hangelt sich von Meeting zu Meeting und weiß am Ende des Tages gar nicht, was man gemacht hat. Der Stolz auf die getane Arbeit wird dann meist ersetzt durch den Stolz auf den Grad der Erschöpfung, weil die einem signalisiert, dass man produktiv gewesen ist. Die jüngeren Generationen legen mehr Wert auf den Sinn, der mit der Arbeit verbunden ist.

WAGEN EINS: Werden die Unternehmen, die in ihren Handlungen nachhaltigen Zielen folgen, im Wettbewerb um Beschäftigte die Nase vorn haben?

Grünewald: Ökologie und der Erhalt des Planeten sind vielen Arbeitnehmer:innen wichtig, spielen aber nicht die zentrale Rolle, wie wir in unseren Tiefeninterviews gesehen haben. Die größte Befürchtung geht vom drohenden Autonomieverlust aus, also dem Verlust der Handlungsunfähigkeit. Das haben viele von uns in der Pandemie erlebt, und nun schaut man ohnmächtig auf den Nahost-Krieg und die Ukraine mit Furcht vor einem Weltkrieg. Dann beschäftigt die Menschen die Angst vor sozialer Entzweiung; sie merken, dass der Ton rauer wird und Standpunkte sich radikalisieren. Und drittens schauen viele mit Sorge auf den Substanzverlust in Deutschland. Unser Land ist nicht mehr überall vorbildlich und wirtschaftlich vital, die Bundeswehr ist nicht einsatzfähig, die Infrastruktur marode – und im Fußball läuft es auch nicht mehr rund. Erst an vierter Stelle bewegt die Menschen die Sorge um das Klima.

WAGEN EINS: Wie werden wir uns künftig fortbewegen?

Grünewald: Mobilität ist mit dem großen Wunsch verbunden, ewig im mobilen Flow zu bleiben, eine möglichst störungsfreie unverbrüchliche Fortbewegung zu erleben. Aber das, was wir in der Wirklichkeit mit dem Auto erfahren, sind viele Staus. Der Wunsch wird immer stärker durch die Wirklichkeit konterkariert. Da hilft uns leider auch die Elektromobilität nicht weiter, denn die Antriebsart ändert nichts daran, dass die Straßen voll sind. Der Individualverkehr ist längst an seine Grenzen gestoßen, viel Hoffnung ruht auf einem öffentlichen Verkehrssystem, das Fortbewegung möglichst nahtlos gewährleistet.

WAGEN EINS: Die Pandemie hat die Art und Weise, wann und wo wir unsere Arbeit erledigen, verändert. Wie sehen Sie die Zukunft von New Work?

Grünewald: Die Sehnsucht nach Homeoffice bei vielen Beschäftigten ist groß. Statt morgens in die fremde Welt aufzubrechen, bleibt man oft lieber im eigenen wohltemperierten Reich. Hier hat man alles im Griff und unter Kontrolle. Man ist sogar effizienter als im Büro, weil man kaum abgelenkt wird. Doch der Mangel an Möglichkeiten, sich mit Kolleg:innen auszutauschen oder sich mal in Teeküche zu treffen, geht einher mit der Gefahr der Vereinsamung. Aus unserer Kohäsions-Studie im Auftrag einer Unternehmensberatung geht hervor, dass zwei Drittel der Beschäftigten während der Pandemie innerlich gekündigt hatten. Mit der räumlichen Abwesenheit geht oft auch die Anbindung ans Unternehmen verloren, Teamstrukturen lösen sich auf. Von daher haben Unternehmen nicht allein aus Produktivitätsgründen, sondern aus Gründen der Mitarbeiterbindung ein Interesse daran, dass die Mitarbeitenden in Büros zusammenkommen.

New Work, Elektromobilität und Digitalisierung
Virtuelles Arbeiten in einer neuen Dimension verspricht Apples 3D-Brille Vision Pro, die 2024 auf den Markt kommen soll.
© Apple

WAGEN EINS: Welche Auswirkungen hat New Work auf dienstliches Reisen?

Grünewald: Man fährt seltener zu irgendwelchen Meetings in andere Städte und erledigt das öfter per Teams oder Zoom. Das ist einerseits sehr effizient und zeitersparend, aber es führt auch zu einer digitalen Verdichtung. Die Kontakte zu den Kund:innen haben nicht mehr die gleiche Intensität wie bei Präsenztreffen. Allerdings könnte das, was wir heute unter digitaler Kommunikation verstehen, in Zukunft noch viel mehr Potenzial entfalten.

WAGEN EINS: Von welchem Potenzial sprechen Sie?

Grünewald: Die Daten-Brille Vision Pro von Apple, die 2024 auf den Markt kommt, wird das virtuelle Büro komplett verändern. Die Brille ermöglicht es, die Außenwelt und die virtuelle Realität gleichzeitig zu sehen und zwischen beiden zu wechseln. Bezogen auf Konferenzen können Objekte jederzeit dreidimensional auf dem Tisch platziert werden, man kann anderen Gesprächspartner als räumliche Avatare abbilden, die nach dem Einscannen die echte Gestik und Mimik der Personen nachahmen. Und das subjektive Empfinden ist so, als wäre man wirklich im Raum. Daraus können neue digitale Workflows entstehen, die das Gemeinschaftsgefühl stärken.

WAGEN EINS: Wie sieht ihre persönliche Prognose für die Zukunft aus?

Grünewald: Zurzeit befinden wir uns in einem visionären Vakuum, recyceln Retrotrends wie die Geborgenheit und Vertrautheit der 80er- und 90er-Jahre. Wir gönnen uns gerade eine Art Nachspielzeit. Die Deutschen glauben noch nicht richtig an die Zeitenwende, sondern hoffen, dass die Zustände, die sie kennen, noch ein paar Monate oder Jahre stabil bleiben. Auch die junge Generation hält eher am Status Quo fest. Die Hinwendung zur Nachhaltigkeit hat etwas Konservatives: Die Welt soll so bleiben, wie man sie aus Kindheitstagen kennt. Ich nenne es das Nachhaltigkeitsparadox. Denn die Welt bleibt nur so gut wie sie ist, wenn wir bereit sind sie zu verändern.